Der Ölpreis ist so niedrig wie seit Jahren nicht mehr. Das freut Verbraucher und stürzt Ölkonzerne in die Krise. Doch kommt die wirklich überraschend? Zumindest gibt es Strategien, mit deren Hilfe sich die Konzerne wieder aufrappeln und sogar neue Chancen entdecken können. 

Der Ölpreis bewegt sich auf Rekordtief. Das Barrel kostet derzeit rund 30 Dollar. 2014 lag der Preis noch bei 100 Dollar. Es gibt ein Überangebot am Markt und die Nachfrage sinkt. Letztere wird insbesondere bei China befürchtet, dem größten Ölverbraucher der Welt. Dahinter tobt der Wettbewerb der Förderländer Saudi-Arabien, Russland, und auch der USA mit Schieferölproduzenten. Das hinterlässt Spuren bei den Zahlen der Ölmultis. Der Gewinn von Branchenprimus ExxonMobil brach ein, BP rutschte 2015 tief ins Minus, auch Shell und Chevron melden schwache Zahlen. Analysten kritisieren die mangelnde Flexibilität der Ölkonzerne und konstatieren zugleich deren große Abhängigkeit von der Ölpreisentwicklung.

Disruptive Veränderungen wie der rapide Verfall der Ölpreise sind oft schwer vorhersehbar. Doch es gibt strategische Möglichkeiten, mit denen eine Annäherung möglich ist. Dies baut auf den für das Unternehmen entscheidenden Parametern auf, bei den Ölkonzernen etwa die Verfügbarkeit von Öl sowie der Ölpreis, der schon viele Höhen und Tiefen hinter sich hat.

„Wild Cards“ oder „Diskontinuitäten“ sind Begriffe aus der Zukunftsforschung. Sie bezeichnen Ereignisse, deren Eintreten eine geringe Wahrscheinlichkeit hat und doch im Rahmen des Möglichen liegt. Die Analyse von „Wild Cards“ braucht klar definierte Parameter und den Mut, die möglichen Szenarien durchzudenken. Einige Beispiele: Eine Bohrinsel havariert. BP hat dies mit Deepwater Horizon erlebt. Ein Tankschiff schlägt Leck. Die Mobilität mit PKW in großen Städten wird beschränkt. Das passiert bereits. Der Ölpreis fällt aus dem Rahmen aller Annahmen. Dies ist aktuelle Realität. Neue Technologien machen Öl überflüssig. Das kann eines der nächsten Szenarien sein. Gerade in Zeiten des Erfolgs erscheinen solche Überlegungen lächerlich oder sind unerwünscht. Doch sie sind nie überflüssig, denn sie erweitern den Horizont und schaffen neue strategische Optionen.

 

Zukunft gestalten heißt in Innovationen investieren

Eine weitere strategische Methode ist die Vorausschau. Basis dafür ist ein Verständnis von Denkmustern und der menschlichen Wahrnehmung. Menschen unterliegen bestimmten Verzerrungen in ihrer Wahrnehmung – das gilt auch für Strategen und Top Executives. Beispiele sind: Das eigene Können wird überschätzt, Veränderungen werden verdrängt oder grundlegende Annahmen als gegeben hingenommen. In der Wirtschaft wurde etwa stets von einer gewissen Bandbreite der Ölpreise ausgegangen, zudem war die Grundannahme eher Knappheit. Die Vorausschau beruht darauf, solche Annahmen transparent zu machen, zu hinterfragen und Szenarien zu entwickeln. Nimmt man die Ausrichtung des Unternehmens und seinen Beitrag für die Kunden hinzu, so lässt sich Zukunft langfristig gestalten.

Diese strategischen Methoden gehen weit über die Analyse von Trends hinaus. Sie beleuchten, welche Bedeutung Trends für das Unternehmen haben und wie das Unternehmen diese für sich nutzen und sogar selbst gestalten kann. Denn: „Die Zukunft gehört denen, die die Möglichkeit erkennen, bevor sie offensichtlich werden“, sagte schon Oscar Wilde. Zukunft gestalten erfordert den offenen Diskurs und die Reflexion von Standpunkten, einen langfristigen Zeithorizont und die Bereitschaft für Investitionen in Innovation, neue Geschäftsmodelle und Kompetenzen. Hürden wie etwa Quartalsdenken, Ausrichtung auf Gewinn- statt Nutzenmaximierung oder aus Erfolg geborene Überheblichkeit gilt es zu erkennen und auszuräumen.

Was können die Ölmultis – oder andere Konzerne – jetzt in der Krise tun? Zunächst sollten sie reflektieren, was die wirklichen Gründe für die aktuelle Situation sind, und ob Hürden für die Gestaltung der eigenen Zukunft ausgeräumt werden sollten. Ergänzt durch eine Analyse der eigenen Stärken entstehen neue strategische Möglichkeiten. Diese Überlegungen sollten im Idealfall vor Restrukturierung und Personalabbau erfolgen, um kritisches Know-how an Bord zu halten.

 

Ungenutzte Potenziale aktivieren

Gerade in Zeiten der Krise ist der Blick auf ungenutzte Potenziale unerlässlich, denn hier liegen direkt realisierbare Ertragsquellen. Die Mitarbeiter sollten einbezogen werden, denn sie kennen das Geschäft und die Kunden. Das Positive dabei: Die Unternehmen werden mit einem solchen Vorgehen zugleich den Weg zu Wachstum erleichtern und ausbauen. Und sie werden manch eine Idee finden, die vielleicht schon lange unbeachtet in den Schubladen schlummerte.

Zusätzlich zu den Ideen aus der Schublade, lassen sich neue Geschäftschancen systematisch entwickeln, etwa durch Segmentierungsmethoden. Die entscheidende Frage dabei ist: Was noch können wir mit unseren Assets – materiellen wie immateriellen – für unsere bestehenden Kunden und für neue Kundengruppen tun? Eine Analogie sind die Golfplatzbauer, die sich auf die Landschaftsgärtnerei verlegt haben, als alle Golfplätze gebaut waren.

Eine weitere Möglichkeit: Neue Geschäfte entwickeln. Hier schließt sich der Kreis zu „Wild Cards“ und Vorausschau. Diese Methoden der Zukunftsforschung können Konzerne nutzen, um sogenannte Lösungen zweiter Ordnung zu entwickeln, also solche, die auf neuen Denkmustern und Annahmen beruhen. Darin liegen immer Wachstumschancen.

Bei der aktuellen Krise geht es auch um Rolle und Bestand der Ölmultis, vielleicht stellvertretend für andere Branchen und Konzerne. Werden sie aussterben wie die Dinosaurier, die sich nicht an sich wandelnde Umfelder anpassen konnten oder an externen Schocks scheiterten? Oder wird die Erneuerung gelingen, vielleicht in Form von kleineren und diversifizierten Einheiten? Es ist an den Unternehmen selbst, die aktuelle Krise zu nutzen und daraus neue Erfolge wachsen zu lassen.

 

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Dr. Anja Henke, Unternehmenswachstum

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