Profitables Wachstum liegt in der Hand der Unternehmen selbst, denn 90 Prozent des Erfolgs hängen von inneren Faktoren ab, nicht von Markt oder Konjunktur. Für die deutsche Parfümerie-Branche geht es darum, die Chancen der rapiden Veränderung zu nutzen. Davon können auch andere Branchen lernen.

Parfümerie-Branche – attraktiv und dynamisch

Die Parfümerie-Branche ist wachstumsstark und attraktiv. Bis zu 8% Wachstum sind in Europa prognostiziert. Doch der Markt in Deutschland schrumpft. Zugleich erlebt die Branche eine dynamische Verschiebung der Vertriebskanäle in Richtung Online und Multi-Channel. Im Online-Bereich versierte Player wie Zalando und Otto.de sehen ihre Chancen und drängen auf den Markt. Das bringt etablierte Größen wie Douglas unter Druck. Doch der Einstieg des Private Equity Investors CVC zeigt, dass die Finanzbranche durchaus Gewinnchancen sieht. 

Aber: Eine Lose-Lose-Lose-Situation

Trotz Attraktivität und Wandel befindet sich die Parfümerie-Branche in Deutschland in einer unglücklichen Lose-Lose-Lose-Situation. Derzeit bekommt keiner, was er will. Das gilt erstens für die Parfümerien und die Drogerien, die in einem Preiskrieg um den dominanten Vertriebskanal Umsatz und Margen verlieren. Zweitens bekommen die Hersteller auf diese Weise nicht die Vermarktung, die sie sich vom Handel wünschen. Und drittens gilt das für die Kunden, die sich mit ihren Bedürfnissen nicht verstanden fühlen.

 

„Derzeit bekommt keiner, was er will: Parfümerien / Drogerien, Hersteller und Kunden.“

 

Das zeigt sich deutlich in den Zahlen. Der Parfümerie-Handel in Deutschland verzeichnete 2017 einen Umsatzrückgang von Minus 3,2 Prozent, trotz der guten Konjunktur. Zugleich erodieren die Profite. Und so läuft die Konsolidierung der Branche; Unternehmen verschwinden vom Markt. Das bildet sich jedoch nicht in der Zahl der Verkaufsstellen und Mitarbeiter ab. Auch nicht in den Sortimenten, die weiter vergleichbar bleiben.

Was Kunden wünschen

Das Nachdenken über eine Lösung, über Wachstum, startet natürlich beim Kunden. Doch was wünschen die Kunden der Parfümerie-Branche sich? Um das herauszufinden, braucht es keine groß angelegte Marktforschungsstudie. Der Blick in einschlägige Blogs reicht aus. Beispielsweise schildert „Magimania“ sehr konkret, was in der Parfümeriebrache heute schiefläuft:

„Während man sich in den Gängen von dm, Rossmann und Co. oft im Weg stehend fühlt oder nach dem Fast-Food-Prinzip möglichst schnell raus sein soll, schaffen es Douglas, Pieper und Co. sowie auch Counter in großen Kaufhäusern stets, einem das Gefühl zu geben, erst mal diesen „Bist Du gut genug“-Check überstehen zu müssen.“

Weiter kritisiert „Magimania“ den Mangel an Marken. Es klafft eine Lücke zwischen Low Budget und Premium. Zugleich fehlen Marken mit einem hippen Image oder kreative Make-ups als Magnet, nicht durch Photoshop verzerrte Schönheitsideale für die Frau jenseits der 50 in nude nude nude…“ Experimente sind von der Kundschaft also durchaus gewünscht, nicht nur eine stets gleiche Hochglanz-Fassade. Und hier zeigt sich: Die Kundschaft möchte wahrgenommen, respektiert und individuell gut beraten sein.  

Was der Handel wünscht

Auch der Handel macht kein Geheimnis um seine Wünsche. Herr Seidel, Präsident des Verbands der Vertriebsfirmen kosmetischer Erzeugnisse, VKE, hat 2016 im Handelsblatt deutlich Stellung genommen: 

Der Handel hat erheblich an Attraktivität und Faszination bei den Verbrauchern eingebüßt.“

Das liege an zu wenig Service und einer schlechten Darstellung, was der Handel durch übertriebene Sonderangebote wettzumachen versuche. Was fehlt, sind Respekt vor den Kunden, Motivation der Mitarbeiter, umfassender Service, Vorhalten eines vollständigen, qualitativ hochwertigen Sortiments und kreatives Merchandising. In den Gesprächen zwischen Herstellern und Handel gehe es in erster Linie um Umsatz pro Regal-Meter, aber nicht um begeisternde Konzepte. Herr Seidel weiter:

 

„Das gilt es sehr kurzfristig zu ändern, andernfalls prophezeie ich der Selektiv-Kosmetik eine schwierige Zukunft.“

Time for a Change

Das alles zeigt: Die Unternehmen der Parfümerie-Branche befinden sich am Scheideweg. Digitale Vertriebswege und Geschäftsmodelle sowie sich wandelnde Kundenanforderungen können existenzbedrohlich sein. Jede Parfümerie darf sich fragen: Gehen wir in Richtung Niedergang oder entscheiden wir uns für neues Wachstum, für Selbsterneuerung? Die Selbsterneuerung erfordert Strategien, mit denen die aktuelle Lose-Lose-Lose-Situation so transformiert wird, dass alle gewinnen.

 

Beide Optionen, Beendigung und Wachstum, haben ihre Berechtigung. Wer zu dem Schluss kommt, die Pforten zu schließen und auf andere Pferde zu setzen, dem gebührt Respekt. Die, die sich entscheiden ihr Unternehmen neu aufzustellen, können dies in fünf klaren Schritten angehen.

Fünf klare Schritte zu Wachstum

 

  1. Zügel in die Hand nehmen. Unternehmen, die dauerhaft Wachstum anstreben, müssen zunächst einmal die Zügel in die Hand nehmen, sprich sich aus der Opfer-Rolle verabschieden und die eigene Gestaltungsmacht nutzen. Denn Wachstum hängt zu 90% von den inneren Faktoren des Unternehmens ab. Das sind beispielsweise Läden und Kundendaten, ebenso immaterielle Assets wie Wissen, Positionierung und Kreativität. Es sind eine Entscheidung und eine Frage der Wahrnehmung, die eigenen Stärken zu sehen und daraus Chancen zu entwickeln.
  1. Kundensegmente und -bedarfe verstehen. Die Kundschaft verändert sich dynamisch. Im Jahr 2027 wird es vier primäre Kundensegmente geben: Babyboomer, Generation X, Millennials und Generation Z. Menschen der Generation Z, die dann größte Gruppe mit Jahrgängen ab 1998, sind „True Digital Natives“. Sie stellen ganz neue Anforderungen an die Branche, denn für sie ist digital normal.

    „Für Generation Z ist digital normal.“ 

Doch nicht nur die Kundensegmente verändern sich, sondern auch die Kundenbedürfnisse. Eine der fundamentalsten Veränderungen ist die Prioritäten-Verschiebung von „Wohlstand und Status“ hin zu „Einfluss“. Der Fokus rückt weg vom Besitz und stellt die Person und ihr Tun in den Mittelpunkt. Bei dieser Verschiebung reicht die Segmentierung der Kunden nicht mehr aus, um passende Angebote zu entwickeln. Vielmehr erwarten die Kunden einen persönlichen Dialog, der auf ihre individuellen Bedürfnisse zugeschnitten ist. 

  1. Passende Strategien entwickeln. Vor der Investition in Hardware, etwa neue Läden, ist die Investition in Software, also Strategien, zu empfehlen. Basis für jede Strategie ist die Kenntnis der einzigartigen Stärken des Unternehmens. Dann gelingt auch die klare Positionierung, was der Weg aus der Falle der Vergleichbarkeit ist. Bei der Strategie-Entwicklung ist es günstig, nicht alles auf eine Karte zu setzen. Ein strategischer Dreiklang hilft dabei, Chancen umfassend zu nutzen und Risiken zu streuen. 

„Erst in Strategien investieren, dann in Läden.“ 

  • Strategien für das Ausschöpfen. Eine Bestandsaufnahme mit ausgewählten Mitarbeitern hilft dabei, Potenziale für Verbesserungen im Unternehmen und für das Vorgehen am Markt zu bestimmen. Mit einem solchen Vorgehen entstehen strategische Maßnahmen-Pläne mit eingebauter Umsetzung, denn die Mitarbeiter sind von Anfang an eingebunden. Beispielsweise liefern klare Verantwortlichkeiten und durchgehende Kommunikation hohe Potenziale für Verbesserungen in vielen Unternehmen. Gezielte Schulungen für die Kundenberatung bieten Chancen für mehr Umsatz und Gewinn am Markt. 
  • Strategien für das Ausbauen haben zwei Dimensionen. Erstens sind das Innovation in Produkten & Services und zweitens Innovationen in Geschäftsmodellen. Starten wir mit Innovationen in Produkten & Services, die in der Parfümerie-Branche reichlich zu finden sind. Wer hätte vor ein paar Jahren gedacht, dass schwarzer oder khakifarbener Nagellack gefragt sein würden? Das ist nur die Speerspitze. Innovationen kommen oft von Newcomern, die sich mit einer klaren Positionierung am Markt etablieren. Das tut zum Beispiel Medical Beauty Research, MBR, mit Hautpflege an der Grenze zur Medizin.

Die zweite Seite, die Innovation in Geschäftsmodellen, braucht Zeit zum Nachdenken. Das Geschäftsmodell lässt sich in einzelne Bausteine zerlegen, etwa Kunden-Kanäle, Wertversprechen und Kostenstruktur. Dann lassen sich die einzelnen Bausteine verändern und wieder neu zusammensetzen. Der Aufbau digitaler Vertriebskanäle ist ein Beispiel für eine solche Veränderung. Als Unternehmen ist Cosnova Beauty ein gutes Beispiel, mit günstigem Preis bei hoher Qualität und schneller Produktentwicklung.   

  • Disruptionen sind ein Wegweiser zu neuen Märkten und in die Zukunft. Es gibt immer Vorreiter, die diese Chancen nutzen. Im Retail findet gerade eine solche Disruption statt. Dabei verbinden Apps Hersteller und Kunden direkt, etwa über Social Media Kanäle wie Instagram. Wer auf Instagram Produkte sieht, erhält über einen Screenshot direkt alle Informationen zum Kauf. Der Handel ist außen vor. Die Information zu den Produkten liegt bei Influencern. LIKEtoKNOW.it ist eine App, die genau das tut. Das unterstreicht die substantielle Veränderung des Marktes, von der Anbieter- zur Nachfrageorientierung. Alle Macht dem Kunden – das Paradigma der Zukunft ist schon heute Realität. 

„Tatsache ist, dass sich die Art und Weise, wie Verbraucher heute einkaufen, für immer verändert hat. Wer heute etwas verkaufen will, der muss das liefern, was die Kunden wollen, wo sie es wollen, in dem Format, und in der Erfahrung, in der sie es auch wollen. Wir haben uns von einer angebotsorientierten Welt zu einer nachfrageorientierten Welt gewandelt, in der der Verbraucher extrem stark ist.“ – Dave Murry, Executive Vice-President von rewardStyle (LIKEtoKNOW.it) 

 

  1. Agilität entwickeln – zügig umsetzen. Eine Strategie ist nur so gut wie ihre Umsetzung. Hier liegt eine große Herausforderung für das Management, auch nach über 50 Jahren Change Management. Bei der Umsetzung kommt es weniger auf Finanzmittel als vielmehr auf die Einstellung an; Denkweisen sind eine der größten Hürden. Hilfreich für die Umsetzung sind Kompetenzen in Führung, Veränderungsdynamik und Zusammenarbeit. Unternehmen, die diese Kompetenzen aufbauen – und das ist kein „Rocket Science“ –, haben immer einen wichtigen Vorsprung im Wettbewerb.
  1. Die Chancen der Digitalisierung nutzen. Strategie ist mehr als Digitalisierung. Und Digitalisierung ist mehr als ein Onlineshop. Digitalisierung zwingt dazu, alle Abläufe und Angebote konsequent vom Kunden aus anzuschauen und zu optimieren. Das umfasst die Ausrichtung und die Strategie des Unternehmens, die Strukturen und Prozesse, die Kompetenzen, die Belegschaftsstruktur und Kultur. Unternehmen, die sich aus diesem Blickwinkel mit der Digitalisierung befassen, gewinnen zugleich enorme Chancen für die Selbsterneuerung, also strategische Vorteile. 

„Strategie ist mehr als Digitalisierung. Und Digitalisierung ist mehr als ein Onlineshop.“ 

 

Beispiel IKEA 

Manchmal hilft der Blick über den Tellerrand der Branche, etwa auf die Möbelbranche. Hier hat Herr Michael Mette, stellv. Geschäftsführer IKEA Deutschland, im April 2018 folgendes gesagt: „In Zukunft wird es für den Einzelhandel entscheidend sein, alle Angebote und Abläufe, den gesamten Kaufprozess, viel mehr aus Kundensicht zu betrachten und zu durchdenken als bisher. Unsere Strategie darf sich nicht daran ausrichten, was wir wollen, sondern vielmehr daran, was die Kunden wollen. Das Denken in Kanälen gehört endgültig der Vergangenheit an. Online und Offline werden verschmelzen. Die Kunden denken nicht in Kanälen, sondern sehen ein Angebot, eine Marke als Gesamtheit.“

 

Auf in die neue Branchen-Welt

Die Unternehmen der Parfümerie-Branche sind mit vielen Veränderungen konfrontiert, die eine neue Branchen-Welt entstehen lassen: Neue Kundensegmente, neues Kundenverhalten, neue Vertriebskanäle (Online, Offline, Multi-Channel), neue Wettbewerber aus den eigenen Reihen und aus anderen Branchen, neue Kommunikationswege (vom Hersteller direkt zum Kunden). Die hohe Dynamik fordert die Unternehmen auf, neue Wege zu gehen und sich fundamental zu wandeln. Was dabei zählt, ist der Blick auf Chancen und auf „Eroberungspotentiale“, um zum Problemlöser der Kunden von heute und morgen zu werden.

Dr. Anja Henke, Unternehmenswachstum

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