Die Deutsche Bank befindet sich in einer tiefen Krise. Wie sie zu neuer Größe finden kann, skizziert Strategieexpertin Anja Henke
Kaum ein Tag vergeht ohne negative Schlagzeilen über die Deutsche Bank. 2015 lag das Ergebnis bei einem Minus von 6,8 Mrd. Euro, der höchste Verlust in der Geschichte des Unternehmens. Der neue CEO John Cryan stellt Schwächen heraus: zu hohe Kosten, zu großzügige Vergütung, veraltete IT, laxe Kontrollen. Seine Strategie ist klar: Er will die Schwächen beseitigen. Das ist konsequent und an vielen Stellen nötig, doch es ist auch gefährlich. Zum einen hilft der Blick auf Schwächen nicht dabei, in die Zukunft und zu neuer Größe zu finden. Zum anderen zerstört die Restrukturierung Werte, was am niedrigen Aktienkurs abzulesen ist. Noch schlimmer: Das Vorgehen zerstört Vertrauen, wie abwandernde Mitarbeiter belegen.
Um aus der Misere zu kommen, benötigt die Deutsche Bank sogenannte Lösungen zweiter Ordnung. Das sind Lösungen, die auf neuen Standpunkten beruhen und dadurch Wachstumswege zugänglich machen. Solche Lösungen lassen sich aus drei Fragen ableiten: Wie konnte es so weit kommen? Was funktioniert? Was funktioniert nicht? Daraus entsteht logisch eine Strategie, die zu neuer Größe führen kann.
Die Fakten liegen auf dem Tisch: Lange Zeit hat die Deutsche Bank mehr auf den eigenen Vorteil geschaut als auf den Kundennutzen. Das ist eine fast schon tragische Geschichte, die sich an Stichworten wie Deutsche Bank 24, Sal. Oppenheim, Hua Xia Bank, Postbank und den Restrukturierungen der Vergangenheit ablesen lässt.
Die Zielsetzung einer Eigenkapitalrendite von 25 Prozent kann wesentlich zu dem Desaster beigetragen haben. Dabei geht es nicht um die Höhe des Ziels an sich, sondern um dessen Wirkung. Bei diesem Ziel ist das Geld der Zweck, der Mensch wird damit zum Mittel. Kundenorientierung kann jedoch nur dann entstehen, wenn das Geld Mittel ist und der Mensch – also der Kunde – Zweck. Diese Strategie hat lange Zeit gut funktioniert und ist daher wohl zur DNA des Unternehmens geworden. Ob die aktuelle Strategie hier ein neues Fundament schafft, erscheint fraglich.
Was funktioniert…
Die operativen Erträge haben sich 2015 trotz Unsicherheit behauptet, etwa im Geschäft mit Privat- und Geschäftskunden (PBC), im Wealth Management, im Global Transaction Banking (GTB). Viele Mitarbeiter sind weiterhin engagiert im Tagesgeschäft aktiv. Es gibt zahlreiche Ideen und viele Mitarbeiter mit hoher Qualifikation und Veränderungswillen. Die Marke Deutsche Bank genießt nach wie vor Ansehen. Und es gibt eine neue Führungsmannschaft, die Verantwortung übernimmt.
…und was nicht funktioniert
Die bisherigen Aktivitäten und Strategien haben noch nicht zu den gewünschten Ergebnissen geführt. Dazu zählen beispielsweise die wiederholten Restrukturierungen, IT-Projekte und Akquisitionen sowie der angestrebte Kulturwandel und die bisherigen Führungswechsel. Entweder ist der strategische Ansatz bei den Ursachen noch nicht geglückt, oder die Umsetzung ist unzureichend. Die aktuelle Führungsmannschaft geht von Letzterem aus. Daher werden die Maßnahmen wie in der Vergangenheit weiter verfolgt und sogar verschärft. Es wird umstrukturiert auch in operativ profitablen Geschäftsbereichen. Dies betrifft insbesondere PBC, wo Filialen geschlossen und Stellen abgebaut werden, was mit hohen Kosten verbunden ist.
Der Weg zu neuer Größe
Die aktuelle Strategie ist logisch, was die Beseitigung der Schwächen anbelangt. Sie ist es jedoch nicht im Sinne der Analyse dessen, was funktioniert und was nicht funktioniert. Die eigentlichen Ursachen des heutigen Zustands bleiben eher außen vor. Im Folgenden sind strategische Alternativen skizziert, die das Unternehmen durch ein neues Fundament stärken, Werte sichern können, Zukunftsperspektiven aufzeigen und nachhaltigen Erfolg versprechen.
Lösungen zweiter Ordnung setzen bei des „Pudels Kern“ an, also bei den eigentlichen Gründen der Misere: fehlende Kundenorientierung und geringe Umsetzungsstärke.
Auf Kundenorientierung aufbauende Strategien
Die Kundenorientierung sollte strategisch im Mittelpunkt stehen. Zunächst dient sie als Leitgedanke der laufenden Restrukturierung: In welchen Bereichen lässt sich Kundennutzen schaffen und ausbauen? Das ist wichtig, um Werte des Unternehmens und damit Chancen für die Zukunft zu erhalten. Die Restrukturierung sollte dort ansetzen, wo wirkungsvolle Verbesserungen in diese Richtung möglich sind: Kommunikationswege, Schnittstellen, klare Verantwortlichkeiten, Richtlinien für das fachliche Handeln und das Verhalten, definierte Kernprozesse als Grundlage für IT-Unterstützung.
Darauf aufbauend sollte eine kundenorientierte Strategie entlang der Analyse von Stärken entwickelt werden. Dies ist gerade jetzt in der Zeit der Krise hilfreich für Orientierung und Vertrauen. Die Strategie kann sich an folgendem Dreiklang orientieren:
(1) Ausschöpfen vorhandener Potenziale, die reichlich vorhanden sind
(2) Ausbau des Geschäfts und
(3) Vorausschau für die Entwicklung neuer Geschäftsfelder. Ideen der Belegschaft können den Prozess bereichern.
Umsetzungsstärke auf Basis gemeinsamer Ausrichtung
Um eine solche Strategie zu entwickeln und die daraus resultierenden Veränderungen umzusetzen, ist eine gemeinsame Linie der obersten Führungsetage notwendig. Das ist der Ausgangspunkt für eine erfolgreiche Realisierung der Pläne.
Die Umsetzung sollte mit einer Definition der gewünschten Ergebnisse starten, die aus der kundenorientierten Strategie abgeleitet wird. Um die Umsetzung in Richtung der angestrebten Ergebnisse zu lenken, ist ein gemeinsames Führungsverständnis notwendig. Unter anderem muss auf Grundlage der Berichtslinien definiert werden, wie der Prozess der Mitarbeiterkommunikation ablaufen soll. Insbesondere gehört dazu, die Umsetzung von vereinbarten Maßnahmen nachzuhalten. Die entsprechenden Prozesse, Standards und Kompetenzen gilt es aufzubauen. Sind diese Voraussetzungen gegeben, steigen der Umsetzungserfolg und die Produktivität der eingesetzten Ressourcen.
Diese Strategien eröffnen neue Möglichkeiten für die Deutsche Bank und versprechen ebenso messbaren wie nachhaltigen Erfolg. Dabei sind zunächst die Führungskräfte gefordert, neue Standpunkte einzunehmen und entsprechend zu handeln. Die Zeit ist günstig. Der CEO fühlt sich „persönlich verantwortlich“, analysiert nüchtern und ist bodenständig. Wenn er mit seiner Führungsmannschaft diese neuen Wege beschreitet, hat die Deutsche Bank beste Chancen auf neue Größe.