Strategien zu entwickeln ist nicht so leicht. Die Stahlsparte von Thyssenkrupp (tk Steel), die nun mit Tata fusioniert, ist ein gutes Beispiel dafür. Ist die Fusion eine alternativlose Strategie? Für tk Steel gibt es heute keine Alternativen mehr. Doch retrospektiv betrachtet, welche Alternativen hätte es gegeben? Diese Betrachtung ist für andere Unternehmen hilfreich, die in gesättigten Märkten wachsen wollen. Das gilt besonders dann, wenn sie sich im Dilemma von Überkapazitäten und Preiskampf befinden und nach erfolgsversprechenden Strategien suchen.

 

Die Fusion: Strategie für eine bessere Zukunft?

Zuletzt, im Sommer 2018, waren sich alle einig, dass die Fusion von tk Steel mit Tata Steel sinnvoll ist. Die Nachfrage nach Flachstahl geht zurück, billiger Stahl aus Asien flutet den Markt, die Preise sinken. Konsolidierung erschien in dieser Situation die einzig rationale Lösung. Konsolidierung heißt: Kapazitäten verschwinden aus dem Markt.

Die Logik der Fusion

Die Logik der Fusion ist einleuchtend. Mit dieser Strategie sollen die Überkapazitäten reduziert und Synergien realisiert werden. Natürlich geht es auch um die Sicherung von Arbeitsplätzen und den Erhalt des Stahlgeschäfts, die Wurzeln des Konzerns Thyssenkrupp. Nicht zu vergessen ist die angestrebte Wertsteigerung für Aktionäre. Hier gibt es reichlich Druck auf eine Zerschlagung, die der Konzern nun umsetzt.

Welche Strategien ausgeschlossen wurden

Doch zurück zur Stahlsparte von Thyssenkrupp. Das Management hat alle aus seiner Sicht verfügbaren Alternativen geprüft. Ausgeschlossen wurden verschiedene Strategien.

Die Strategie „weiter wie bisher“. Bei dieser Lösung wäre der Stahlbereich im Konzernverbund verblieben. Damit wurden jedoch keine Zukunftsperspektiven gesehen

Ein „Spin-off“ der Stahl-Aktivitäten. Der Stahlbereich wäre als eigenständiges Unternehmen aus dem Konzern herausgelöst worden. Auch hier wurden keine Zukunftsperspektiven gesehen.

Eine „Deutsche Stahl AG“. Gemeinsam mit Salzgitter wäre ein großes deutsches Stahlunternehmen entstanden. Allerdings hätte dann die Konsolidierung ausschließlich in Deutschland stattgefunden. Dies war keine wünschenswerte Strategie.

Ob auch ein Exit erwägt wurde, ist der öffentlichen Kommunikation nicht zu entnehmen.

Lessons learned für andere Unternehmen

So nachvollziehbar die Gründe für die Fusion auch sind, es gibt ebenso logische Betrachtungsweisen, die bei dieser Strategie außen vor geblieben sind. Das bringt Risiken mit sich, die das fusionierte Unternehmen sehen und angehen sollte.

  • Zwei Unternehmen in Problemen. Tata steht ganz ähnlichen Herausforderungen wie tk. Durch die Fusion entsteht zwar ein Gigant mit über 20 Mio. Tonnen Stahlkapazität (Flachstahl), die Nummer 2 in Europa. Doch die Probleme des Marktes bleiben bestehen, auch für das fusionierte Unternehmen. Daher ist es wichtig, die eigentlichen Ursachen der Misere strategisch anzugehen und das Unternehmen neu aufzustellen. Dafür sind Innovationen und Strategien der Selbsterneuerung geeignet.
  • Das alte Stahl-Denken bleibt bestehen. Die Logik der Fusion entspringt dem Denken in Mengen und Kosten. Aus diesen Denkweisen heraus macht die Fusion Sinn. Mengen verschwinden aus dem Markt und die Kosten werden reduziert. Zugleich liegt hier ein großes Problem. Denn die Spielregeln verändern sich. Daher ist folgende Überlegung essentiell: Aus welchem Denken heraus wird Stahl morgen erfolgreich sein? Aus kundenspezifischer Fertigung, aus serieller Einzelfertigung, aus dem Denken als Problemlöser – oder anderen Paradigmen? Das sind entscheidende Fragen, die das gesamte strategische Vorgehen auf den Kopf stellt. Zugleich eröffnet dieses Umdenken neue Lösungen für den langfristigen Erfolg.
  • Eine isolierte Strategie. Da das Denken in Menschen und Kosten maßgeblich war, wurde nicht über den Tellerrand gesehen, also auf das Umfeld der Stahlbranche. Dort, im Verbund mit tk Steel, befinden sich zahlreiche Unternehmen, die den Stahl weiterverarbeiten – und die lieber aus einer verlässlichen deutschen Quelle beziehen, als aus dem Ausland. Die hohen Risiken der Abhängigkeit vom Ausland werden uns inzwischen bei Wirkstoffen für pharmazeutische Produkte bewusst und gefährden aktuell unsere Gesundheitsversorgung. Daher ist es für Unternehmen wichtig, gerade in der digitalen Zeit, strategisch über die eigenen Grenzen hinweg zu denken und das Umfeld mit einzubeziehen.

 


Fallbeispiel: Strategie von voestalpine

Andere Unternehmen sind bereits beim Umdenken und verfolgen erfolgreiche neue Strategien. Ein Beispiel ist voestalpine. In einem Interview nahm der CEO deutlich Stellung zur eigenen Strategie wie auch zur gesamten Stahlbranche.

 

„Wir gehen immer tiefer in die Nische und nicht in die Masse, obwohl wir deutlich mehr verkaufen könnten. Mengendenken ist aber die Urkrankheit dieser Industrie. Traditionell galt – und gilt offensichtlich leider immer noch – die Gleichung: Wer die meisten Tonnen hat, ist am besten aufgestellt. So einfach ist die Stahlwelt aber längst nicht mehr. Das ist Macho-Denken aus einer anderen Zeit.“
– Dr. Wolgang Eder, CEO voestalpine am 19.09.17 (DIE WELT

 

Strategische Alternativen – Stahl neu denken

Es gab strategische Alternativen zu einer Fusion von zwei Unternehmen, die gleichermaßen in Probleme stecken. Die Beleuchtung möglicher Alternativen ist auch retrospektiv hilfreich, um anderen Unternehmen Impulse zu geben. Denn heute befinden sich zahlreiche Unternehmen und ganze Branchen in gesättigten Märkten, in Überkapazitäten und Preiskämpfen, und suchen nach neuen Wachstumsstrategien.

  • Modell Saarland – Gewinn einbehalten. Das Modell Saarland ist im Kern eine Stiftung, die den Gewinn des Unternehmens sichert und direkt reinvestiert. Die Aktionäre sind dabei nicht außen vor, doch die Rendite ist begrenzt. Die Stiftung steht dafür ein, dass das Unternehmen langfristig besteht. Das bedeutet eine niedrige, aber langfristig sichere Rendite für die Aktionäre. Dies sollte eigentlich das normale Verhalten des ehrbaren Kaufmanns sein; in vielen Familienunternehmen ist das auch so. Doch offensichtlich erfordern diese Zeiten solche Kunstgriffe, um Unternehmen vor übertriebenen Rendite-Erwartungen einzelner Personen oder Gruppen zu schützen. Dies ist ein Weg, um einem Unternehmen die Unabhängigkeit und dem Standort die Wettbewerbsfähigkeit dauerhaft zu sichern.
  • Strategien der Selbsterneuerung. Strategien der Selbsterneuerungen benötigen als Grundlage ein neues Denken, hier also weg von Menge und Kosten. Grundlage sind die einzigartigen Stärken des Unternehmens und seine Historie. Das ist die DNA, auf der die Erneuerung aufgebaut werden muss. Denn im Kern ist jedes Unternehmen aus einer Idee hervorgegangen, die in die neue Zeit getragen werden muss. Für die Strategien der Selbsterneuerung gibt es klar definierte Schritte und Methoden. Dazu gehören beispielsweise die Analyse von latenten Kundenbedarfen oder die Geschäftsmodellinnovation. Doch es sei noch einmal wiederholt: Kern ist der Wille zu neuem Denken. Bei tk und Tata wäre es nötig gewesen, Stahl neu zu denken.
  • Strategien im Verbund. Ein Unternehmen wie tk Steel war nicht isoliert aktiv, sondern arbeitet im Verbund mit vielen anderen, etwa den Gießereien oder Ingenieursdienstleistern. Das ist die Grundidee der Cluster, die in Deutschland sehr erfolgreich sein. Ein solcher Verbund durchläuft Wachstumszyklen, ähnlich wie ein Unternehmen selbst. Hier hätte tk Steel die Möglichkeit gehabt, diese Dynamiken zu analysieren und eine klare, tragende Rolle für sich in diesem Ökosystem zu entwickeln. Das wäre ein Beitrag zu einem starken Standort gewesen, der auf einer vernetzten und produktiven industriellen Basis ruht. Die Digitalisierung fördert, ja fordert diese Art der Strategien. Dort heißen sie Plattformstrategien – und sind die profitabelsten Strategien, die aktuell verfügbar sind.


tk Steel nach der Fusion – wie geht es weiter?

„Über vergossene Milch soll man nicht weinen.“
– Volksweisheit

Die hier beleuchteten Strategien kommen zu spät für tk Steel. Aktuell warten tk Steel und Tata Steel auf die finale Zustimmung der Behörden für die Fusion. Das Führungsteam ist bereits aufgestellt, die Pläne sind gemacht. Alle Beteiligten haben zugestimmt, auch die Vertreter der Arbeitnehmer. Das fusionierte Unternehmen tut gut daran, die offensichtlichen Risiken zu managen, die der Integration und die der Zukunftsstrategien. Dann kann der eingeschlagene Weg von Erfolg gekrönt sein.

Unternehmen in gesättigten Märkten – Strategie für Wachstum 

Für die Unternehmen, die aktiv nach neuen Wachstumsstrategien suchen, gerade in gesättigten Märkten, bietet tk Steel viel Anschauungsmaterial. Daraus lassen sich wichtige Ansatzpunkte ableiten, um einen Unterschied zu machen, für das eigene Unternehmen und für das Umfeld. Denn Deutschland braucht dringend Unternehmen, die Neues und Zukunft schaffen, statt zu konsolidieren und abzubauen. Was es braucht, ist die Offenheit für neues Denken, für alternative Strategien und den Weg aus den eigenen Komfortzonen. Das ist in unserer heutigen Zeit kein Kann oder Sollte. Das ist ein Muss.

 

 

Dr. Anja Henke, Unternehmenswachstum

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