Die Angst ist groß: Geht einer der Giganten der deutschen Wirtschaft unter? Verliert Deutschland sein „Herz aus Stahl“? Blickt man auf die Zahlen, so ist die Gefahr real. Der Konzern geht von einer Restrukturierung zur nächsten. Die Frage ist: Gibt es Alternativen, die gangbar sind und Wert schaffen? Ansatzpunkte dazu, etwa Strategien der (Selbst)Erneuerung sind hier unter dem Leitgedanken Innovative Restrukturierung formuliert. Davon können auch andere Unternehmen profitieren.

„Der Stahl, das ist das Herz von ThyssenKrupp. Nimmt man es heraus, stirbt ein Mythos, 200 Jahre Firmentradition, das alte Ruhrgebiet.“ – Marian Blasberg & Martin Kotynek 2012

Investition in die Stahlhütte Brasilien

Die Gelegenheit der Investition in Brasilien schien günstig: Die Arbeitskräfte billig und das Material auch, die Umweltauflagen niedrig, die Nachfrage aus Werken der deutschen Autoindustrie in den USA sozusagen direkt nebenan. Überhaupt schien der Verbrauch von Stahl Anfang der 2000er grenzenlos zu sein.

Auch persönliche Motive spielten eine Rolle. Da war der Wunsch in der Champions-League mitzuspielen, einen Weltkonzern zu formen. Da war auch der Wunsch, sich selbst ein Denkmal zu setzen und Karrieren zu krönen.

Daraus ist auf andere Weise bittere Realität geworden. Die Investition in Brasilien markiert einen Meilenstein für ThyssenKrupp. Die Suche nach einer neuen Strategie beginnt.

 

Prognosen und die Realität

Natürlich spielen bei solchen Projekten auch Berater eine Rolle. McKinsey hatte eine Machbarkeitsstudie erstellt. Alles schien gut zu sein.
Die Bramme aus Brasilien sollte 55 Dollar die Tonne günstiger sein als die aus Deutschland. Die Investitionen wurden auf 1,9 Mrd. Euro veranschlagt. Die Risiken sollten überschaubar sein und die Gewinnpotenziale hoch. Wer hätte da nicht gerne mitgemacht.

Die Realität sah anders aus. Die Bramme Stahl aus Brasilien war 170 Dollar die Tonne teurer als die aus Deutschland (Stand 2011 / 2012). Die Investitionen summierten sich schließlich auf mehr als 12 Mrd. Euro, auch wegen teuren Fehlentscheidungen wie der Auftragsvergabe an Citec statt an den eigenen Dienstleister Uhde.

2017 verkauft ThyssenKrupp das Werk für 1,5 Mrd. Euro an Ternium. Der Verkauf geht einher mit der Entwicklung des Konzerns vom Stahl- zum Industriekonzern.

„Wir leiden immer noch unter den Folgen der Fehlinvestitionen in Brasilien und den USA.“ – Martina Merz, Vorstandsvorsitzende

 

Quellen: https://www.zeit.de/2012/28/DOS-ThyssenKrupp; https://www.finance-magazin.de/cfo/strategie/thyssenkrupp-schliesst-sein-12-milliarden-grab-in-amerika-1397861/; https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/thyssenkrupp-stahlwerke-verluste-krise-1.4750048

Wie wirkt die klassische Restrukturierung?

Der Verkauf des Hüttenwerks in Brasilien war ein Bestandteil der klassischen Restrukturierung. Weitere Schritte folgten und gingen durch die Presse.

Für den Stahlbereich war der Zusammengang mit Tata Steel in der Diskussion, der 2019 von der EU-Kommission untersagt wurde. Liberty Steel ist der nächste Interessent.

Die Aufzugssparte wurde 2020 verkauft. Das Grobblechwerk in Duisburg wird geschlossen. Das dänische Unternehmen FLSmidth interessiert sich für Teile des Anlagenbaus. Weitere Teile des Konzerns stehen zum Verkauf.

Der Einstieg des Staates im Zuge der Coronavirus-Pandemie war in der Diskussion, wurde jedoch nicht vollzogen. Aktuell steht der Abbau von rund 11.000 Stellen in der Presse.

Der Konzern soll zu einer Firmengruppe werden, in der die einzelnen Bereiche hohe Freiheiten genießen.

Bisher verzeichnet ThyssenKrupp auf diesem Weg einen enormen Verfall von Wert. Der Aktienkurs lag in der Zeit um 2007 bei fast 40 Euro. Aktuell bewegt sich der Kurs unter 10 Euro. Ende Januar 2021 ist der Konzern etwas mehr als 6 Mrd. Euro Wert. 

Ein Ende dieser Negativspirale scheint derzeit nicht in Sicht.

 

Welche Chancen für die Zukunft gibt es?

Natürlich wirken die Entscheider dem Niedergang intensiv entgegen. Wachstumsfelder werden bestimmt, um neue Perspektiven aufzutun. Denn ThyssenKrupp verfügt über viele Chancen und hohe Innovationskraft.

Im Stahlbereich gehören dazu beispielsweise integrierte Anlagen, die eine Kontrolle der Form und Chemie des Stahls möglich machen. So ist ein „Customizing“ für verschiedene Anwendungen möglich. Der Bau von Elektrolyseanlagen für die Herstellung von Wasserstoff ist ein Beispiel in einem anderen Feld. Das ist eine Zukunftstechnologie und damit eine große Möglichkeit, die heute breit unterschätzt wird.

Noch lassen sich die Verluste mit diesen innovativen Chancen und Geschäften nicht kompensieren. Daher ist eine deutlich höhere Zahl dieser Strategien erforderlich, um eine breite, positive Wirkung zu entfalten.

 

Was wäre mit Innovativer Restrukturierung möglich?

Wie könnte ein Weg in die Zukunft aussehen, der tragende Perspektiven eröffnet? Die Leitgedanken der Innovativen Restrukturierung und (Selbst)Erneuerung liefern wertvolle Hinweise.

Hier sind verschiedene Ansatzpunkte skizziert, die zahlreiche Unternehmen bereits für sich genutzt haben. Diese haben gemeinsam, dass sie auf die inneren Ressourcen, die DNA und die Stärken des Unternehmens zugreifen. Hypothesen dazu, wie ThyssenKrupp davon profitieren könnte, sind an ausgewählten Stellen formuliert.

  • Steuerungsfähigkeit. ThyssenKrupp ist groß und komplex mit hohen internen Dynamiken. Einen „Tanker“ dieser Größenordnung zu steuern ist herausfordernd. Dabei würden dem Konzern klare Führungsprozesse und ein gemeinsam getragenes Führungsverständnis helfen. Das gilt für jedes Unternehmen, denn ein solches Vorgehen stärkt die zentralen Grundlagen für die Umsetzung von Veränderung. Direkter positiver Effekt ist eine steigende Produktivität, denn Ressourcen werden besser genutzt.
  • Stärken. Das Ausmerzen von Schwächen ist heute ein übliches Vorgehen. Im Sport weiß man, dass dies nicht zu Gewinnern führt. Stattdessen muss der Blick auf Stärken gerichtet werden. ThyssenKrupp besitzt viele davon, wie bereits geschildert. Das Umdenken hin zu Stärken markiert zugleich einen fundamentalen Paradigmenwandel, der logisch zu neuen Strategien führt.
  • Innere Synergien. Ein Konzern wie ThyssenKrupp besteht aus verschiedenen Teilbereichen und Geschäftsfeldern. Doch die Ausrichtung auf individuellen, kurzfristigen Profit zerstört allzu oft die inneren Synergien. Die klassische Restrukturierung trägt erheblich dazu bei. Ein Konzern wie BASF zeigt, dass in inneren Synergien hohe Chancen liegen. Auch andere Unternehmen können den Blick hierhin richten. Die Weiterentwicklung der Organisation kann eine logische Folge sein – mehr Zusammenhalt im Kontrast zu einer Zerlegung. Das passt zum Leitgedanken des neuen US-Präsidenten Joe Biden:

„Unity is the path forward.“

  • Ein Portfolio der Strategien. Eine Strategie liefert heute typischerweise nicht mehr DIE Antwort für die Zukunft. Dafür ist ein Portfolio der Strategien geeignet, mit dem Unternehmen überdies Risiken abbauen und auf die Fülle der Chancen zugreifen. Um ein solches Portfolio zu entwickeln, stehen zahlreiche Methoden zur Verfügung. Das reicht vom Ausschöpfen vorhandener Potenziale über das innovative Ausbauen des Geschäfts bis zum Erobern neuer Geschäftsfelder. Gerade neue Geschäftsmodelle spielen eine wichtige Rolle auf dem Weg der (Selbst)Erneuerung.
  • Mitarbeiter. Strategie und Umsetzung sind oft in zwei Teilen gedacht. Das ist ein Grund dafür, dass so viele Strategien Papiertiger bleiben. Daher ist das Einbinden der Mitarbeiter von Anfang an wichtig, um Hürden der Umsetzung auszuräumen. Auch das Wissen und die Ideen der Mitarbeiter werden auf diese Weise nutzbar gemacht. Aus der Einbindung wachsen zudem Verantwortlichkeit und Zuversicht, tragende Qualitäten gerade in der Krise. Ein solcher Schritt hätte darüber hinaus eine enorme Signalwirkung nach innen und außen.
  • Strategische Vorausschau. Führungskräfte verfügen über die Ressourcen, um Trends zu beobachten und für das Unternehmen zu nutzen. Ein Asset, dass dafür ins Spiel gebracht werden muss, sind die menschlichen Denkweisen. ThyssenKrupp hat hier einen klaren Vorteil, denn die Fähigkeit für langfristiges Denken liegt bereits in der DNA des Unternehmens. Da strategische Vorausschau heute selten ist, schafft diese besonders wertvolle Wettbewerbsvorteile.
  • Ökosysteme. Deutschland hat eine starke Tradition der Zusammenarbeit in Clustern, etwa OWL in der Möbelbranche. Ein solcher Cluster-Gedanke könnte auch für ThyssenKrupp völlig neue Optionen eröffnen – und den beteiligten Unternehmen ebenso, etwa den Schmieden und Gießereien. Cluster-Strategien, modern als Ökosysteme bezeichnet, erfordern ein Denken über die Unternehmensgrenzen hinaus. Weiterhin liegt auch hier ein wichtiger Zugang zur (Selbst)Erneuerung.
  • Digitalisierung. Digitalisierung lässt sich gezielt für neue Geschäftsmodelle einsetzen und ist ein Enabler dafür, besonders für Ökosysteme und die zirkuläre Wirtschaft. Diese Potenziale werden greifbar, sobald Digitalisierung über die Prozessoptimierung hinaus für das Unternehmen insgesamt gedacht wird.
  • Reflexion. Die Ansatzpunkte der Innovativen Restrukturierung beruhen auf Reflexion. Reflexion ist der Raum zwischen Reiz und Reaktion, das Innehalten und Überdenken dessen, was so normal erscheint. In diesem Raum finden sich neue Lösungen, Innovationen, (Selbst)Erneuerung. Die Coronavirus-Krise fordert dazu auf, indem sie vielen Menschen die Zeit gibt, um genau hier nach Neuem zu suchen.

Diese Ansatzpunkte einer Innovativen Restrukturierung lassen sich in unterschiedlicher Kombination einsetzen. Jeder für sich kann positiv wirken. Als konzertiere Aktion verstärken sie sich gegenseitig. Der Aufwand ist zunächst überschaubar, denn die meisten Ressourcen sind erst einmal vorhanden. Oft ist die Reflexion die höchste Investition, das Umdenken und Erdenken neuer Lösungen.

 

Ausblick

Welche Möglichkeiten würden sich für ThyssenKrupp eröffnen, wenn es einige dieser Ansatzpunkte nutzen würde? Darüber lassen sich nur Vermutungen anstellen.

Fest steht: Gerade von ThyssenKrupp könnten wichtige Impulse für die Zukunft ausgehen, mit Ausstrahlung weit über die Region hinaus. Das „Herz aus Stahl“ könnte mit neuer Kraft schlagen. Außerdem wäre es ein Zeichen der Hoffnung für viele Unternehmen und Menschen, wenn einem Urgestein wie ThyssenKrupp die (Selbst)Erneuerung gelänge.

Für Ihre Restrukturierung

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Dr. Anja Henke, Unternehmenswachstum

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