Interview für WDR Markt am 13. November 2019.

Die deutsche Möbelbranche ist wie viele andere Branchen unter Druck durch billige Importe, neue Kundenanforderungen und die damit einhergehende Konsolidierung. Welche Strategien werden die Zukunft prägen? WDR Markt macht daher die Möbelbranche zum Inhalt von zwei TV-Sendungen. Dafür wurden Frau Dr. Anja Henke, Carpe Viam, und Herr Udo Kiel, H-Faktor in Düsseldorf interviewt.

Die Fragen und Antworten geben ausgewählte Teile des Interviews wieder.


 

Quelle: WDR Markt vom 27.11.2019 – https://www1.wdr.de/mediathek/…

Frage: Warum steigen Einzelhändler wie Lidl und Real jetzt auch – zumindest digital – in den Möbelhandel ein?

Dr. Henke. Das hat zwei wesentlich Gründe. Erstens betreiben die Discounter Category Management. Sie suchen also einen Produktmix, der die Profitabilität optimiert. Mit Lebensmitteln, dem Food Bereich, sind die Margen begrenzt. Andere Produkte, Non Food, versprechen mehr Gewinn. Neben Kosmetik und Bekleidung kommen nun Möbel.

Zweitens sucht auch der Handel digitale Geschäftsmodelle. Lebensmittel Online zu vertreiben ist bei Frischwaren problematisch bzw. die deutschen Kunden wollen keinen Aufpreis für Logistik zahlen. Daher bietet sich der Non-Food Bereich an, eben auch Möbel. Ikea hat vorgemacht, dass handlich verpackte Möbel zum selbst aufbauen ein attraktiver Markt sind.

 

Frage: Herstellung in Polen, Tschechien aber auch in China – sind das die Möbel, die wir kriegen, wenn wir billig kaufen oder gibt es billig auch Made in Germany?

Dr. Henke: Viele billige Möbel stammen aus Importen aus dem Ausland. Und: Es gibt billig auch „Made in Germany“. Einige Hersteller positionieren sich strategisch im günstigen Marktsegment.

Bei Lidl findet man etwa Möbel der Marke Germania, die explizit mit „Made in Germany“ wirbt. Germania ist ein Familienbetrieb mit rund 60 Jahren Geschichte und 200 Mitarbeitern. Das Unternehmen beschreibt sich als sehr innovativ. Erfindergeist, Präzision und Verlässlichkeit sind Werte, die hier vertreten werden.

Oder Hn8, ein Hersteller von Schlafsystemen mit Sitz im Schwarzwald und rund 80 Jahren Historie. Auch hier steht die Innovation ganz vorne. Hn8 steht für „H´nacht“, Schwarzwald eben. Das H steht ebenso für handwerkliche Fertigung.

Auf der anderen Seite gibt es innovative deutsche Hersteller, die neue Maßstäbe setzen. Etwa Lattoflex, deren Strategie den Lattenrost zum Kult macht. Oder Hülsta, ein Unternehmen, das sich mit hochwertigen Designmöbeln positioniert.

Natürlich gibt es insgesamt viele Nachmachprodukte von hochwertigen Möbeln. Ein Vitra Stuhl, designt von Charles Eames, steht heute im Museum. Natürlich gibt es billigere Modelle, die diesen Stuhl als Vorbild nutzen.

Frage: Welche Auswirkungen hat die Herkunft auf die Qualität der Möbel?

Dr. Henke: In Deutschland gibt es ganz klare Regularien und Umweltzertifikate. Bestimmte Chemikalien dürfen bei der Herstellung nicht verwendet werden, weil dadurch ungesunde Ausdünstungen der Möbel entstehen, sobald diese aufgestellt sind. Auch die Herkunft der Hölzer ist dokumentiert.

Was den Import angeht: Inzwischen sind hier die Kontrollen besser geworden. Noch im Jahr 2014 wurden besonders Kleidung, Kosmetik, Spielzeug und Elektrogeräte aus China von den Kontrolleuren beanstandet. China holt jedoch rapide auf und ist schon lange nicht mehr nur die verlängerte Werkbank des Westens. Die Qualität steigt. Und: Auch in China sind die Umweltauflagen sehr gestiegen.

Dennoch kommt es weiter vor, dass in China illegale Chemikalien verwendet werden. Das lässt sich aus Umweltmessungen belegen, die heute auch auf globaler Ebene stattfinden. Was der Verbraucher auch wissen muss: China ist der größte Importeuer von illegalem Tropenholz aus der Regenwaldrodung. Diese Hölzer sind natürlich in vielen Produkten, die exportiert bzw. nach Deutschland importiert werden.

Daher sollte der Verbraucher sich über Inhaltsstoffe und Herkunft der Materialien der Möbel informieren, um eine gute Kaufentscheidung zu treffen.

 

Frage: Heißt das, es wird demnächst nur noch billige Möbel geben?

Dr. Henke: Möbel im mittleren Preissegment sind unter Druck, von unten und oben, von billigen und von hochpreisigen Möbeln. Das mittlere Segment ist also sozusagen in die Zange genommen. Die Prognosen gehen davon aus, dass diese Entwicklung sich fortsetzt. Gleichzeitig ist klar, dass bei einer solchen Entwicklung eine neue Mitte entstehen wird.

Für die Möbelhersteller bedeutet das, dass sie sich strategisch klar positionieren müssen. Im Hochpreissegment zählen Individualität und Innovation, die neueste Idee, auch die Marke. Etliche Hersteller versuchen hier ein klareres Profil zu finden. Über Vitra und Hülsta haben wir schon gesprochen.

Gleichzeitig gibt es immer mehr günstige Möbel, wie hier bereits deutlich wurde. Die Preise werden auch über die Einkaufsgesellschaften und die Discounter gedrückt, die dominierenden Vertriebskanäle der Möbelhersteller. Hier müssen die Möbelhersteller in jedem Fall günstig produzieren. Was hier massiv unterstützt, sind Digitalisierung und Automatisierung. Das wird insbesondere in der Produktion genutzt. Wem das nicht gelingt, der verschwindet aus dem Markt.

Daher wird auch im Billigsegment zunehmend eine klare strategische Positionierung gefragt sein, etwa über gelebte Werte oder andere Alleinstellungsmerkmale, sofern diese transparent werden und wirken können. Denn auch hier zählt nicht immer, aber oft, die Marke. Über Germania haben wir auch schon gesprochen.

 

Frage: Welche Rolle spielt die Digitalisierung innerhalb der Möbelbranche? Sind Online-Märkte wie Real, Lidl, Home24 die Zukunft?

Dr. Henke: Möbel sind eine große Kategorie im Online-Handel. Sie liegen als Produktgruppe in Deutschland auf Rang 6, direkt hinter Büchern. Der Online-Handel wird weiter zunehmen, sei es über Discounter, über große Marken wie Ikea oder neue Geschäftsmodelle.

Insgesamt hat der Online-Handel ein enormes Potenzial. Das zeigen die Zahlen von Ikea. Von 5 Mrd. Gesamtumsatz in Deutschland 2018 werden rund 370 Mio. Euro über den Online-Kanal verkauft, das sind 7,4%. Insgesamt werden rund 6% der Möbel Online verkauft.

Zugleich zieht Online neue Unternehmen an, die ein rein digitales Geschäftsmodell betreiben. Home24 ist ein Beispiel dafür. Ähnliche Entwicklungen gab es in anderen Branchen, etwa der Parfümeriebranche. Hier ist Parfumdreams ein Online-Geschäftsmodell. Das Unternehmen wurde 2018 von Douglas erworben.

Für die Möbelhersteller selbst ist Online ein potenzieller neuer Vertriebskanal, der gerade von kleineren Betrieben aktiv genutzt wird. Der Vertrieb in der Branche liegt allerdings primär in den Händen der Einkaufsgesellschaften. Die Möbelhersteller haben Sorge, sich mit ihren machtvollen Vertriebspartnern anzulegen. Daher werden sie kaum selbst den Online-Vertrieb voranbringen. Ein anderer Grund kann darin liegen, dass die traditionellen, familiengeführten Möbelherstelle einen Bogen um diesen Aspekt der Digitalisierung machen. Wie schon gesagt werden Digitalisierung und Automatisierung primär in der Produktion genutzt, weniger im Vertrieb. Dies gilt für viele andere Branchen in Deutschland ebenso.

Frage: Stichwort Einkaufsgesellschaften, was hat es mit denen auf sich? Wie funktioniert das? Und kommen Hersteller/Händler eigentlich an denen „vorbei“?

Dr. Henke: Die Möbelhersteller verkaufen ihre Produkte über die Einkaufgesellschaften, die wiederum große Ausstellungsflächen betreiben. Dort kommen die Produkte vieler Hersteller zusammen, so dass der Kunde seine Wahl treffen kann.

Die Einkaufsgesellschaften dienten ursprünglich der Bündelung der Kräfte, etwa dem gemeinsamen Einkauf oder dem gemeinsamen Marketing. Die Initiative dafür ging von den Möbelherstellern aus. Bei der weiteren Entwicklung hätten die Möbelhersteller oder die zentralen Dienstleister und Handelspartner mit den Verkaufsflächen die Macht übernehmen können. In der Möbelbranche ist die Macht an die Einkaufgesellschaften gegangen, die somit den Kontakt zum Kunden haben.

Inzwischen etablieren die Einkaufsgesellschaften sogar Eigenmarken, machen also den Herstellern Konkurrenz, für die sie ursprünglich einmal Dienstleister waren. Es ist ähnlich wie in der Autoindustrie, wo die großen Automarken den Zulieferern Preisdruck machen – und zugleich die Innovation plus die damit verbundenen Investitionen auslagern.

Unter dem Strich haben die Möbelhersteller große Sorge, an den Einkaufsgesellschaften vorbeizugehen, da ihr Umsatz in Gefahr ist. Diese Sorge ist durchaus bedeutungsvoll in der Branche. Der Aufbau eigener Marken, eigener Ausstellungsflächen oder des Online-Geschäfts erfolgt daher zögerlich oder wird vermieden.

 

Frage: Wie gehen die kleineren Möbelhersteller mit dem Thema Internet und Digitaler-Handel um? Warum tun sich da viele schwer?

Dr. Henke: Generell sehen deutsche Unternehmen die Potenziale der Digitalisierung hauptsächlich für die Produktion und die Automatisierung der Prozesse, weniger für neue Geschäftsmodelle und den Online-Vertrieb. Damit bleiben leider viele Chancen für Wachstum und Erneuerung liegen.

Die Möbelhersteller haben, wie bereits ausgeführt, die Einkaufsgesellschaften, die den Vertrieb übernehmen; denen macht man lieber keine Konkurrenz. Zum anderen fehlt vielen Unternehmen die Kompetenz in der Digitalisierung. Dort, in digitalen Technologien und Methoden, passiert so viel. Die Entwicklungen sind dynamisch. Es braucht einiges an Fachwissen, um die Chancen und Risiken zu sehen und um hier erfolgreich zu agieren. Das fällt den Jüngern und den „digital Natives“ naturgemäß leichter als einem erfahrenen Eigentümer, der vielleicht gerade in Überlegungen zur Nachfolge steckt.

In die Digitalisierung muss man sich mental hineinbegeben, sich stetig weiterbilden, einige Grundprinzipien verstehen. Es ist hilfreich, einige Online-Marketing-Konferenzen zu besuchen und die entsprechenden digitalen Kurse zu belegen. Das ist wichtig, um nicht strategisch den Anschluss zu verlieren. Auch das gilt nicht nur für Möbelhersteller, sondern ebenso für viele andere Branchen.

Übrigens gibt Vater Staat den Unternehmen hohe Zuschüsse für Investitionen in die Digitalisierung. Nur: Die Unternehmer müssen das selbst anpacken.

Frage Was sagen denn die Händler, die bereits digital agieren, zu den Vertriebswegen, auch im Vergleich zu den Erfahrungen, die sie mit den Einkaufsgesellschaften gemacht haben?

Dr. Henke: Wie bereits ausgeführt ist eine solche Gegenüberstellung schwierig bis unmöglich. Es ist eine heterogene und eine individuelle Betrachtung.

Schauen wir auf Ikea. Dort ist der Online-Vertrieb natürlich sehr professionell aufgezogen. Ikea hat Einkauf und Vertrieb komplett selbst in der Hand. Natürlich entstehen derzeit auch neue Unternehmen mit innovativen Geschäftsmodellen. Das sind zum Beispiel Raumkonzepte für die Lebensphasen der Verbraucher. Oder Unternehmen, die alle Dienstleistungen und Einkäufe für die Inneneinrichtung in die Hand nehmen.  

Weiter gibt es kleine Hersteller, die bereits heute sehr erfolgreich ihre Möbel Online vertreiben. Ein Beispiel ist die Firma Helm Design in Köln. Das Unternehmen verkauft maßgefertigte Möbel. Herr Helm, der Eigentümer, ist ein Vorreiter in seiner Branche. Er hat inzwischen auch eine Marketing-Agentur aufgebaut, die andern Unternehmen bei der Digitalisierung und dem Online-Vertrieb hilft. Das funktioniert also in der Möbelbranche.

 

Frage: Welche Entwicklung hat die Möbel-Branche hinter sich und wo steht sie im Moment?

Dr. Henke: Insgesamt ist die Branche ist in einer großen Konsolidierung. Unternehmen verschwinden vom Markt, gehen zusammen, werden von Investoren gekauft und verschmolzen.

Die Möbelhersteller sehen dennoch strategische Chancen für sich, etwa im Ausbau des Geschäfts durch Services, in der Ausweitung bestehender Exportmärkte und der Erschließung neuer Märkte durch Export, durch Kooperationen im Vertrieb, Fokussierung auf Premiummöbel oder Möbelsysteme in Auftragsfertigung.

Was die Möbelhersteller jedoch ausschließen, sind strategische Kooperationen mit anderen Unternehmen in Zukunftsfeldern. Es besteht die Sorge, dass noch bestehende individuelle Vorteile verloren gehen. Hier hätte die Möbelbranche enorme Chancen, denn Deutschland hat traditionell Stärken im Verbund. Die Möbelhersteller könnten sich gemeinsam eine starke Basis schaffen und der Abhängigkeit von den Einkaufsverbänden entkommen. Das regionale Cluster Ostwestfalen-Lippe ist bereits gelebte Realität. Darauf ließe sich optimal aufbauen.

Vom Vorgehen empfehlen wir grundsätzlich folgendes: Zuerst müssen die Unternehmen in der Möbelbranche heraus aus der Ohnmacht. Sie sehen sich stark von äußeren Faktoren wie Konjunktur und Wettbewerb abhängig. Damit übersehen sie die eigentliche Wachstumskraft, die zu rund 85% von innen kommt, also in den Unternehmen selbst liegt. Dazu gehört auch die Fähigkeit, aus verschiedenen Standpunkten auf die Welt zu schauen, aus Kundenperspektive, aus digitaler Perspektive, aus globaler Perspektive, aus der Perspektive der eigenen Stärken heraus. Dann wird vieles logisch und klar. Neue Chancen und Strategien tun sich auf.

Jedes Unternehmen, das bestehen will, braucht eine klare strategische Positionierung mit dem Blick auf die eigenen Stärken. Das gibt den Rahmen vor und sichert Einzigartigkeit. Von dort aus muss ein Portfolio der Wachstumsstrategien entwickelt werden – ausschöpfen von vorhandenen Chancen, ausbauen des Geschäfts und erobern neuer Geschäftsfelder. Digitalisierung ist dabei ein Ermöglicher für viele neue Strategien und Chancen.

Und zuletzt braucht es Veränderungsfähigkeit, also die Fähigkeit, Neues umzusetzen, immer wieder Neues zu tun, aus Fehlern zu lernen. Leider tun wir uns damit in Deutschland etwas schwer. Doch es gibt kein Scheitern, es gibt nur Lernen.

Vielen Dank für das Interview!

Ausgewählte Informationen zur Möbelbranche

Charakteristika: Die Möbelbranche in Deutschland ist von kleinen und mittelständischen Unternehmen geprägt. Rund 20% der Unternehmen haben 500 und mehr Beschäftigte. Rund 35% haben bis 99 Beschäftigte. Die restlichen 45% der Unternehmen beschäftigen zwischen 100 und 499 Mitarbeiter. Die Branche ist unter starkem Druck. Billige Möbel, besonders aus Polen, China und Tschechien, drängen in den deutschen Markt und drücken die Preise. Dazu kommt, dass der Anteil der Konsumausgaben für Möbel in Deutschland sinkt. Die Kunden kaufen also weniger Möbel – oder zu geringeren Preisen. Die Konsolidierung der Branche läuft: 1960 gab es 2.134 Möbelhersteller, 2016 sind es noch 498.

Vertrieb: Die Möbelbranche hat eine Vertriebsstruktur, die über große Einkaufsgesellschaften geregelt ist. Diese Einkaufsgesellschaften bestimmen die Preise; die 10 größten verantworten 47% des Umsatzes der Branche. Die Möbelhersteller selbst haben also keinen Zugang zum Markt und den Kunden. Der Direktabsatz liegt bei nur 3 Prozent. SB-Warenhäuser, Kaufhäuser oder Discounter machen rund 18 Prozent des Handelsumsatzes aus. So machen Discounter wie Aldi und Lidl auch den großen Einkaufsgesellschaften Konkurrenz und bieten den Möbelherstellern einen zusätzlichen Vertriebskanal. Der Online-Anteil der Möbelbranche lag 2015 bei 6% vom Gesamtumsatz. Hier wird erhebliches Wachstum erwartet.

 

Dr. Anja Henke, Unternehmenswachstum

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