Wann hat sich die Ambition aus den deutschen Unternehmen verabschiedet?

Das ist schwer zu sagen, denn es war ein langer, schrittweiser Abschied. Der Abschied hat mehrere Dekaden gedauert und war geprägt durch Schocks wie die Ölkrise, das Platzen des New Economy Bubble und schließlich die weltweite Finanzkrise. So wurde zwar die Wirtschaftskraft in Deutschland immer größer, doch der Glaube der Unternehmen an die eigene Gestaltungskraft immer kleiner.

Es war ein Abschied der Ermüdung, Zermürbung und Auszehrung. So langsam, dass niemand den Moment bemerkt hat, als die Ambition den Raum verlassen und die Tür hinter sich zugezogen hat.

Oder doch? Da waren solche Momente. Es müssen die Zeiten gewesen sein, als die soziale Marktwirtschaft zur sozialen Umverteilungsgesellschaft geworden ist. Als das Prinzip des Anpackens und Tuns an Wertschätzung verlor. Der Moment, in dem jeder einen sicheren Platz in der Schafherde hatte, doch keiner mehr seinen Kopf daraus erheben durfte. Das war der Zeitpunkt, als Unternehmer als böse Kapitalisten und wirtschaftliche Erfolge als unmoralisch gewertet wurden.

Es waren die Momente, die erfolgreiche Wachstumsunternehmen zu Hidden Champions machten. Es waren die Zeiten, als Portfoliodenken, Restrukturierungen und Kostenabbau die strategischen Agenden zu bestimmen begannen. Es war der Sieg der Technokraten über die Querdenker, Erfinder und Tüftler. Da hatte das Drama seinen Wendepunkt schon lange erreicht. Manager in Nadelstreifen übernahmen das Regime.

Zwischendurch hat man noch gedacht, frische Gedanken täten der Ambition gut und würden sie sicher zum Bleiben bewegen. Hoffnung kam auf, als Manager begannen, das Silicon Valley zu bereisen, mit Start-ups zusammenzuarbeiteten und die Krawatten abzulegen. Oder als Amazon, Facebook und Google solche Dominanz erreichten, dass es fast sicher schien, dass der Ambition in den deutschen Unternehmen neuer Atem eingeflößt werden würde. Oder dass sie für das Lösen der globalen Probleme, etwa in China, wieder hervorzulocken wäre. Sie hatte da ein schwarz-rot-goldenes Mäntelchen an und sah eigentlich recht frisch und gut gelaunt aus.

Aber nein, man hat sie jahrelang immer wieder in die Ecke geschubst, sie nicht beachtet und warten lassen. In manchen Unternehmen ist sie bei Kostenabbauprogrammen mit vor die Tür gesetzt worden, ohne dass jemand das bemerkte. Man hat sie in Führungsteams und Aufsichtsratsgremien zuhören lassen, wie Menschen sie ihrer sicheren Führungskarriere opferten, ohne größeres Interesse für sie aufzubringen.

Und irgendwann hat sie gedacht: Jetzt reicht es. Jetzt ist es Zeit, zu gehen. Einen Moment lang stand die Ambition noch am Grenzübergang und schaute wehmütig zurück. Da gab es noch Chancen, sie zurückzuholen. Sie wieder nach Deutschland zu bitten, sie mit an einen der vielen Konferenztische zu setzen und zu fragen: Was möchtest du denn eigentlich? Unternehmer, Pioniere und Querdenker flehten sie an zu bleiben.

In diesen Momenten, die durchaus zu verzeichnen waren, kamen neue Verordnungen und Gesetze auf die Ambition zu. Und alle dachten: Jetzt aber! Doch Bewahrer und Technokraten waren blind für die Ambition und ließen sie unbeachtet stehen. Es wurde erklärt, dass der Staat schon wüsste, wie er für alle seine Schafe zu sorgen habe. Erst als die Ambition merkte, dass die das Ernst meinen, ging sie. Aber das hat in dem ganzen Lärm der Einzelinteressen und Verteilkämpfe niemand mehr gehört.

Das ist leider kein Märchen, sondern wirtschaftliche (und politische) Realität in Deutschland. Und die Folgen kann man sehen an den Themen, die in Vorstandsetagen diskutiert und die in Aufsichtsratsgremien durchgewunken werden, ebenso an den politischen Agenden. Wir können es sehen an einer Haltung, die den Untergang als realistisches Szenario einkalkuliert, ohne dem etwas entgegenzusetzen.

Strategien, geprägt durch das kleine Alles und das große Nichts. Überall soll ein bisschen verändert und zugegeben werden. Und weil es keine Idee für die Zukunft des Unternehmens gibt, erschöpft sich die Gestaltungskraft im Restrukturieren, Fusionieren und Aufspalten. Fröhlich befördert von Investoren, Bankern und Beratern.

Nicht die große Investition, um das Unternehmen in Innovation, Digitalisierung oder Mitarbeiterentwicklung voranzubringen. Sondern ein Zerschlagen von Werten, die oft unwiederbringlich verloren sind. Wenn das überall normal wäre, gäbe es kein unternehmerisches Risiko, keine Gründerszene, keinen Erfindergeist und keine Revolutionen. Sie alle beruhen auf Ideen, für die jemand bereit ist, Zeit, Energie, gar sein Leben einzusetzen.

Ja, Deutschland ist gerade wirtschaftlich stark. Das ändert jedoch nichts an einem grundlegenden Pessimismus und einem hohen Maß an Ohnmacht angesichts der Veränderungen dieser Welt. Zuschauen, Verwalten und Bewahren reichen nicht, es braucht neue Ideen und Visionen. In den Unternehmen braucht es starke Strategien, um Zukunft zu gestalten, statt umzustrukturieren und alles beim alten Denken zu lassen.

Das Geld folgt den guten Gedanken. In Deutschland und seinen Unternehmen versucht man es umgekehrt. Eigentlich ist es ziemlich egal, wer am Ruder sitzt, denn das verbreitete BWL- und MBA-Denken führt zu den immer gleichen Strategien und wenig Erneuerung.

Das Ergebnis befördert oder ruiniert die persönlichen Ambitionen von Führungskräften, nicht aber die Ambition, Deutschland auf die Zukunft vorzubereiten. Die hat längst in China Asyl beantragt.

Basierend auf einer Kolumne (Schlusswort) von Frau Prof. Miriam Meckel: „Wann hat sich die Ambition aus der deutschen Politik verabschiedet?“ am 19. Januar 2018 in der WirtschaftsWoche http://www.wiwo.de/my/politik/deutschland/schlusswort-wann-hat-sich-die-ambition-aus-der-deutschen-politik-verabschiedet/20859452.html

Dr. Anja Henke, Unternehmenswachstum

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