In den USA wird heftig über die Rolle der Technologie bei der Bewältigung der COVID-19 Pandemie diskutiert. Denn es ist offensichtlich, dass die Technologie nicht wirksam hilft Menschen am Leben und gesund zu erhalten sowie für breiten Wohlstand zu sorgen. Dabei fällt der Blick auf die Rolle des Staates und die des Risikokapitals bei der Entwicklung von Innovation. Beim Risikokapital ist namentlich das Silicon Valley gemeint, als vermeintliche Hochburg der Innovation. So wird klar, warum das Innovationssystem in den USA versagt: Die staatliche Lenkung fehlt und die Interessen des Risikokapitals dominieren. Daraus können andere Länder und Unternehmen wichtige Schlüsse ziehen.


 

Falsche Innovation im Land der unbegrenzten Ausbreitung

Die COVID-19 Pandemie

Inzwischen sind mehr als 500.000 Menschen an COVID-19 gestorben. Die Weltwirtschaft ist in der schlimmsten Rezession seit rund 100 Jahren. Und die Pandemie wüstet weiter, gerade in den USA, mit Höchstständen der Neuinfektion von 50.000 pro Tag.

Wissenschaftler haben das Virus schnell nach seinem Aufkommen sequenziert, also das genetische Material entziffert. Dennoch hatten viele Länder große Schwierigkeiten, zügig einen verlässlichen Test bereitzustellen, obwohl die Polymerase-Kettenreaktion (PCR), die dafür erforderliche Technologie, seit mehr als 30 Jahren routinemäßig in Laboren auf der ganzen Welt zum Einsatz kommt. Zusätzlich waren die Materialien für die Durchführung der Tests Mangelware, selbst einfache Reagenzien. Dass Schutzmasken und Beatmungsgeräte fehlen, war und ist weltweit ein Thema.

Doch es ist noch schlimmer: Das amerikanische Gesundheitssystem verfügt bis heute nicht über ein verlässliches System zur Erhebung und Auswertung von Infektionsdaten. Das Land befindet sich quasi im Blindflug.

Wie kann das sein? Die Menschheit verfügt über Künstliche Intelligenz. Sie kennt das Genom vieler Lebewesen. Sie kann Menschen zum Mond und das selbstfahrende Auto auf die Straße bringen. Unternehmen wie Google und Amazon arbeiten ganz selbstverständlich mit großen Datenmengen.
Doch gegen die Pandemie haben wir nur ein Mittel aus dem Mittelalter: Die Quarantäne.

 

„Die Optimisten des 19. Jahrhunderts waren so naiv, von der Technik das Paradies zu erwarten – es ist genau so naiv von den Pessimisten des 20. Jahrhunderts, die Technik zum Sündenbock für so alte Unzulänglichkeiten zu machen wie die menschliche Blindheit, Grausamkeit, Unreife, Habgier und sündhafte Hochnäsigkeit.“ – Peter Drucker

Falsch gelenkte Innovation

Natürlich ist schnell ein Schuldiger ausgemacht: Donald Trump und seine Regierung. In der Tat gibt es in den USA eine ungeschriebene Tradition der staatlichen Führung der Industrie in Krisenzeiten. Viele Unternehmen haben offensichtlich darauf gewartet, dass die Regierung die Prioritäten lenkt. Doch das geschah nicht. Es blieb ein Vakuum.

Doch das Problem liegt tiefer, denn das Innovations-Ökosystem in den USA krankt seit Jahrzehnten an zwei Stellen: 1. Fehlende staatliche Lenkung und 2. Dominanz des Risikokapitals.

1. Fehlende staatliche Lenkung der Innovation

Der Staat: Starthilfe für das Silicon Valley

In Zeiten des zweiten Weltkriegs wurde die Wissenschaft in den USA klar gesteuert, um die erforderlichen technologischen Entwickelungen zu realisieren. Diese Investitionen in Wissenschaft und Technik wurden weit nach Kriegsende fortgesetzt. Dabei wurde klar, dass die moderne Privatwirtschaft viel effektiver ist, wenn die Regierung die grundlegende und angewandte Wissenschaft sowie die Kommerzialisierung der resultierenden Innovationen unterstützt.

Auch das Silicon Valley hat von diesen Investitionen profitiert. In den 1960er Jahren steckte die US-Bundesregierung massiv Geld in Siliziumchip-Firmen. Während die Finanzmittel reichlich flossen, fanden die ersten Risikokapitalgeber erfolgreiche Unternehmen. Die Verbindung zwischen Regierung und Unternehmen ist bis heute stark ausgeprägt, siehe Google oder Palantir.

Damals hat die Regierung viel investiert und wenig kontrolliert. Daraus hat sich der Mythos der einsamen Helden und Regelbrecher entwickelt, die besondere Talente finden und großartige Innovationen hervorbringen. Als solche vermarkten sich die Risikokapitalgeber des Silicon Valley, als die Elite, die es verdient reich belohnt und leicht besteuert zu werden.

Doch dieses Bild entspricht nicht der Geschichte. Bei diesem Narrativ wurden sogar die eigentlichen Gründe für den Erfolg der Unternehmen und Technologie vergessen. Denn keiner hat Durchbrüche wie das Internet allein geschafft.

Ohne Staat weniger Innovation und Wohlstand

Heute sind die staatlichen Institutionen der USA nicht in der Lage, die Technologien zu identifizieren und entwickeln, die für das Wohlergehen der Menschen und den Wohlstand des Landes erforderlich sind. Denn es gibt keine Priorität für die Investition in bestimmte Materialien, Diagnostika und Impfstoffe, nicht einmal ein System der staatlichen Lenkung der Finanzierung hin zu kritischen Technologien. Wissenschaftliche Investitionen sind keine strategische Priorität mehr, sondern ein Restposten. So wurden die USA von der Pandemie kalt auf dem falschen Fuß erwischt.

Das hat Auswirkungen auf den Wohlstand und die Zukunftsfähigkeit des Landes. Die USA haben zwischen 2000 und 2010 rund ein Drittel der Arbeitsplätze im verarbeitenden Gewerbe verloren. Auch die Produktivität des verarbeitenden Gewerbes ist gesunken. Arbeitsplätze und Wissen sind verloren gegangen. Das war jedoch keine bewusste Entscheidung, sondern ist die Folge des jahrelangen Drucks der Finanzmärkte, der Gleichgültigkeit der Regierung und der Konkurrenz von Niedriglohnländern.

 

2. Dominanz des Risikokapitals bei der Innovation

Stattdessen haben die USA auf den freien Markt gesetzt, der Innovationen hervorbringen soll. Prominentester Ausdruck davon ist das Silicon Valley. Hierhin reisen staunende Manager aus der ganzen Welt. Doch Silicon Valley hat nichts für die kritische Infrastruktur und die Produktion entscheidender Güter getan, nichts, was den grundlegendsten Bedürfnissen des Landes und der Menschen entspricht.

Risikokapital führt zu enger Innovation

Warum haben all diese klugen Investoren und Unternehmer im Silicon Valley ihre Zeit und ihr Geld nicht in Gesundheitssysteme gesteckt, die Infektionskrankheiten aufspüren, oder in schnellere Wege zur Entwicklung von Medikamenten und Impfstoffen, oder in Systeme der Arbeitslosenunterstützung, die mit einem plötzlichen Ansturm von Anträgen fertig werden können?

 

Innovation auf Software konzentriert

In den USA gehen 75% des Risikokapitals in Software. Etwa 5 bis 10% gehen in die Biotechnologie, denn nur eine winzige Zahl von Risikokapitalgebern beherrscht die Kunst des längerfristigen Aufbaus eines Biotech-Unternehmens. Der andere Teil geht an alles andere: „Transport, sanitäre Einrichtungen, Gesundheitsfürsorge“.

Das Geld fließt dorthin, wo die Erträge sind. Das geht eben mit Software am leichtesten und schnellsten. Software-Firmen erzielen hohe Renditen, weil sie die Menschen in den Branchen ersetzen, in denen sie dominieren. Ein Beispiel sind Reisebüros, deren Arbeit heute durch Flugbuchungs-Websites erledigt wird.

Tatsache ist: Erfolgreiche Risikokapitalgeber sind nicht unbedingt diejenigen, die die innovativsten Ideen finden. Vielmehr sind es die, die wissen, wie man Gründer ausfindig macht, die in der Lage sind ein Unternehmen aufzubauen, das schließlich übernommen wird oder an die Börse geht.

 

Verzerrte Wahrnehmung über Innovatoren

Dabei entstanden – bewusst oder unbewusst – Annahmen über die Art von Menschen, die überdimensionale Renditen erzielen kann. Die Top-Gründer des Silicon Valley scheinen allesamt weiße, männliche Nerds zu sein, die Harvard oder Stanford abgebrochen haben und absolut kein soziales Leben führen.

Naturgemäß fällt es solchen Menschen schwer außerhalb ihres eigenen Universums zu denken; das ist Betriebsblindheit. Die Menschen innerhalb einer Branche sind darauf konzentriert, Geld für ihre Branche zu schaffen. Niemand will dieses Spiel beenden.

Die Investoren mussten zwar bereits feststellen, dass ihre Möglichkeiten schwinden. Der wachsende Vorrat an „trockenem Pulver“, an nicht investiertem Geld, beweist das. Trotzdem floss das Risikokapital weiterhin fast ausschließlich an die gleiche Art von männlichen Gründern.

 

Diversity sorgt für Innovation, ist aber Fehlanzeige

Nur etwas mehr als 2% der Venture-Capital-Gelder in den USA gingen in den Jahren 2017 und 2018 an weibliche Gründer. Den Investoren fehlt es also an Innovation, weil die Männer, die in den Machtpositionen sitzen, sich nicht mit den Präferenzen der Menschen identifizieren können, die außerhalb ihrer eigenen Erfahrungswelt leben. Denn die „Kultur“ der weißen Männer ist sehr viel enger gefasst als die von Frauen und farbigen Menschen.

Die Vorteile von Diversity wurden von Forschern quantifiziert. Dafür wurden 1 Million US-Patentinhaber und das Einkommen ihrer Eltern untersucht. Die Forscher fanden heraus, dass einkommensschwache Studenten, die in Mathematik zu den besten 5% gehörten, nicht eher zu Erfindern wurden als unterdurchschnittliche Mathe-Studenten aus wohlhabenden Familien. Würden dagegen Frauen, Minderheiten und Kinder aus einkommensschwachen Familien mit der gleichen Rate erfinden wie weiße Männer aus Familien mit einem Einkommen in den oberen 20%, würde sich die Innovationsrate in Amerika vervierfachen.

 

Die Folge: Inkrementelle Innovation

Die Dominanz des Privatsektors bei den Innovationsausgaben der USA ist also auf schnelle Gewinne ausgerichtet. Das bedeutet, dass größere Innovationen nicht zu einer breiten Markteinführung kommen, denn das braucht Zeit.

Eine weitre fatale Folge dieser Entwicklung besteht darin, dass bahnbrechende Innovationen durch inkrementelle Innovationen ersetzt wurden. Das geschah fast unbemerkt. Denn Dank des hervorragenden Marketings von Silicon Valley verwechseln die Menschen in aller Welt Inkrementelles mit Durchbrüchen.

Es ist schwer zu behaupten, dass die USA nach wie vor die innovativste Wirtschaft der Welt sei. Denn Software ist nur eine Ecke des Innovationsspielplatzes. Die USA haben sich so sehr auf die lauten Kinder im Sandkasten konzentriert, dass sie es versäumt haben den Rest der Ausrüstung zu warten.

Wenn aber die Fähigkeit schwindet, die Probleme der Gesellschaft durch Innovation zu lösen, ist das eine ungute Perspektive für eine Volkswirtschaft.

Wege zu mehr Innovation

Diese grundlegenden Fehler der USA haben schon auf andere Teile der Welt übergegriffen wie ein Virus. Doch nun zeigt sich deutlich, dass dieses vermeintliche Vorbild nicht funktioniert. Denn das Land war deutlich sichtbar nicht bereit für eine Krise wie die Pandemie. Grundlegendste Dinge fehlen. Die Arbeitslosigkeit schnellt nach oben.

Darüber hinaus hat das Land auch keine großen Fortschritte in der sozialen Gerechtigkeit erzielt, was die Unruhen nach den brutalen Übergriffen der Polizei Ende Mai deutlich zeigen. Daraus sollten die USA und andere Länder sowie die Unternehmen weltweit ihre Lehren ziehen.

Gezielt in notwendige Innovation investieren

Nun ist ein ähnliches Vorgehen wie nach dem zweiten Weltkrieg erforderlich, um neue Arbeitsplätze schaffen und die Wirtschaft wiederzubeleben. Denn bei schwachen Verbraucherausgaben ist Innovation eine der wenigen Optionen, um das Wirtschaftswachstum voranzutreiben.

 

Nationale Wasserstoffstrategie in Deutschland

Der Wasserstoff-Experte David Wenger über die Frage: “Wasserstoff eine Zukunfts- oder nur Brückentechnologie?”

„Wasserstoff ist weder Zukunftstechnologie noch Brückentechnologie, sondern ein Grundstoff. Es werden pro Jahr etwa 500 Milliarden Normkubikmeter produziert, vor allem für die Petrochemie und die Düngerproduktion. Wasserstoff ist durch das Haber-Bosch-Verfahren, mit dem Kunstdünger produziert werden, eine elementare Grundlage unseres weltweiten Wohlstands seit über 100 Jahren. Wasserstoff ist tägliches Brot für Chemiefabriken auf der ganzen Welt. Vom Sex-Appeal eines „Fancy-KI-autonome-Elektro-Drohne-Startup“ ist das weit entfernt.

Bei der Produktion dieses Wasserstoffs werden pro Jahr etwa 500 Millionen Tonnen CO2 emittiert. Das ist viel. Und wenn man diesen Wasserstoff nun durch Erneuerbare Energien und Elektrolyse produzieren würde statt aus Erdgas, würde man dieses CO2 einsparen. Und darum geht es in der Nationalen Wasserstoffstrategie der Bundesregierung, die mit neun Milliarden ausgestattet ist.

Der Weltmarktführer für Elektrolyseanlagen heißt ThyssenKrupp. Keine Firma, die im Verdacht steht, ein sexy Investment-Geheimtipp zu sein. Aber mutmaßlich eine Firma, die so im Ruhrgebiet Arbeitsplätze schafft oder zumindest erhält. Das motiviert Politiker aller Couleur. Die zweite Motivation ist, dass die EU ein Drittel des Erdgases von einer einzigen Firma – Gazprom – bezieht. Das ist eine gigantische geopolitische Abhängigkeit. Diese zu reduzieren macht viel Sinn.

Ob Wasserstoff im Verkehr sich durchsetzt, bleibt abzuwarten. Im Wesentlichen hängt es von der weiteren Entwicklung der Biotechnologie ab. Die Frage ist aber weniger entscheidend als man aufgrund der hitzigen Diskussionen meinen könnte.“

Quelle: Aus einem Beitrag von Dr. David Wenger: https://www.elektroauto-news.net/2020/wasserstoff-experte-wasserstoff-zukunfts-oder-brueckentechnologie

 

In den USA werden derzeit von einer Gruppe überparteilicher Kongressabgeordneter die Finanzierung für „die Entdeckung, Schaffung und Kommerzialisierung von Technologiefeldern der Zukunft“ angemahnt. Gefordert werden mehr öffentliche Investitionen in Technologien und eine stärkere Rolle der Regierung bei der Lenkung der Arbeit an den Technologien.100 Milliarden Dollar sollen dabei helfen Künstliche Intelligenz, Robotik, Automatisierung, moderne Fertigung und andere kritische Technologien voranzubringen.

Dafür soll eine zentrale Behörde eingesetzt werden, die ein breites Portfolio neuer Technologien identifiziert und unterstützt.

Wichtig ist es, einen Teil des Geldes, das nun bereitsteht, nicht nur für die Ankurbelung der Wirtschaft auszugeben, sondern auch für die Wiederbelebung der Innovation. Es geht also darum, das viele Geld möglichst produktiv auszugeben. Das gibt Hoffnung.

Innovation durch Werte und Diversity voranbringen

Im Silicon Valley ist in den letzten Jahren eine neue Klasse von „Impact-Investoren“ entstanden, die das gewinnbesessene Risikokapitalmodell meiden und sich auf soziales Gut sowie hohe Renditen konzentrieren.

Nach einer Reihe von Klagen und Anschuldigungen wegen sexueller Belästigung und Diskriminierung bekommen zudem einige neue Gesichter einen Platz am Tisch, auch wenn der Wandel von der Furcht angetrieben ist, zurückzubleiben. 2019 wurden 54 Frauen Venture-Capital-Partnerinnen. Das ist eine Rekordzahl, obwohl 65% der Venture-Capital-Firmen immer noch keine weiblichen Partner haben. Immerhin stimmt die Richtung. 

 

Zu diesem Beitrag:

Dieser Beitrag beruht auf zwei Artikel, die im MIT Technology Review veröffentlich wurden: „Why tech didn’t save us from covid-19“, David Rotman, June 17, 2020 und „Why venture capital doesn’t build the things we really need“, Elizabeth MacBride, beide vom 17. Juni 2020. Die Quelle von Dr. David Wenger ist bereits im Text genannt.

https://www.technologyreview.com/2020/06/17/1003312/why-tech-didnt-save-us-from-covid-19/
https://www.technologyreview.com/2020/06/17/1003318/why-venture-capital-doesnt-build-the-things-we-really-need/

Dr. Anja Henke, Unternehmenswachstum

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